39-Stunden-Woche

16. Juni 2023 | Esther Kurmann von Hornbach Baumarkt (Schweiz) AG

Warum entscheidet sich ein Unternehmen, für alle Mitarbeiter:innen die Wochenarbeitszeit auf 39 Stunden zu reduzieren?

Kürzlich durfte ich im Rahmen eines Seminars wunderbares Essen geniessen. Es war offensichtlich, mit wie viel Liebe der Koch die köstlichen Speisen zubereitete. Ich war durchaus überrascht, als er uns erzählte, dass er lediglich für seine verunfallte Schwester eingesprungen ist. Er arbeitet nicht mehr als Koch. Er erzählte uns von seiner Zeit in der Spitzengastronomie. So arbeitete er zum Beispiel während der Ausbildung an sieben Tagen die Woche, häufig 60 Stunden und mehr. Schnittwunden verarzten zu lassen erachtete der Chef als unnötig, er arbeitete weiter und der Finger entzündete sich. Es war auch klar, dass mit Fieber gearbeitet wird. Zum Erholen oder für ärztliche Behandlungen blieb keine Zeit. Es stimmte mich nachdenklich, dass die Rahmenbedingungen in einem Job die Leidenschaft und das Feuer für eine Tätigkeit zunichtemachen konnten.

Mir erscheint es äusserst wichtig, in einem Unternehmen ein Umfeld und ein Klima zu gestalten, in dem die Mitarbeiter:innen gestärkt ihre Tätigkeiten erledigen und mit ihrem Engagement zum Erfolg des Unternehmens beitragen können. Dabei sollen die Mitarbeiter:innen gesund bleiben und aus ihrer Tätigkeit sogar Kraft schöpfen können. So dass wir von einer guten Lebens-Balance sprechen dürfen und nicht von einer Work-life-Balance, in der ich nur in meiner Freizeit Energie tanke und mich erhole, um danach im Job wieder „auszubrennen“.

Um dies zu erreichen, hat die Führungskraft für mich eine zentrale Rolle. Ich glaube, dass auch die Chefköche aus Überzeugung im Sinne des Hauses gehandelt haben. Niemandem möchte ich böse Absichten unterstellen. Doch sind wir uns als Führungskräfte im Klaren, wie unser Handeln und Reagieren in verschiedenen Situationen auf unsere Mitarbeiter:innen und Kolleg:innen wirkt?

Wenn jemand zu spät kommt oder einen Fehler macht sehen wir das und werden dies ansprechen. Sind wir für unsere Wirkung an Meetings und Gesprächen genauso aufmerksam? Sind wir uns auch bewusst, dass die Art wie ich mich am Arbeitsplatz verhalte auch das Verhalten unserer Kolleg:innen beeinflussen kann?

Stärken wir unsere Mitarbeiter:innen und Kolleg:innen und feiern zusammen Erfolge? Helfen wir ihnen ihre Stärken zu finden und sie weiterzuentwickeln, zu fördern und anerkennen wir die Einzigartigkeit jedes Einzelnen? Tragen wir zu guten, belastbaren Beziehungen am Arbeitsplatz bei – trotz oder gerade weil wir so unterschiedlich sind – und stärken die Wirksamkeit jedes Einzelnen in unseren Teams? Lassen wir sie strahlen und erblühen in ihren Aufgaben oder gelingt es uns eher sie klein zu machen, sehen wir nur die Fehler und sind überzeugt, stets die besseren Lösungen parat zu haben?

Führungskräfte, die Zusammenarbeit im persönlichen Miteinander im Arbeitsalltag, in Gesprächen und in Meetings so gestalten, tragen meiner Meinung nach dazu bei, dass alle Mitarbeiter:innen langfristig engagiert und gesund zum Erfolg des Unternehmens beitragen werden und können.

Zudem gilt es aber auch die Rahmenbedingungen entsprechend zu gestalten.

Als Beispiel haben wir im Unternehmen bereits 2018 die Mitarbeiterbeurteilungen komplett überarbeitet und neu ausgerichtet. Wir haben Mitarbeiter- bzw. Entwicklungsgespräche installiert. In diesen soll nicht wie in der Schule eine Beurteilung der Vergangenheit gemacht werden. Es soll vielmehr ein Austausch auf Augenhöhe stattfinden, der zur Entwicklung der einzelnen Personen, der Zusammenarbeit und der Teams beiträgt. Beim Blick in die Vergangenheit wird bewusst auch darüber gesprochen, was besonders gut gelungen ist und warum. Also gerade auch Erfolge angesprochen. So bin ich davon überzeugt, dass jeder Einzelne nur dort Spitzenleistungen erbringen kann, in denen er seine Talente hat. Entsprechend soll in den Gesprächen nach diesen Talenten geforscht werden, um diese weiter einzusetzen und zu entwickeln.

Im letzten Jahr haben wir nun die Anstellungsbedingungen und weitere interne Prozesse im Unternehmen unter die Lupe genommen. Gerade durch die vielen Diskussionen in den Medien entstand innerhalb unserer Belegschaft der Wunsch nach einer 4-Tage-Woche.

Für die 4-Tage-Woche haben wir verschiedene Vor- und Nachteile gesehen. Insbesondere machten wir uns Gedanken zur körperlichen und mentalen Belastung bei einer Arbeitszeit von fast 10 Stunden am Tag.

Wir haben uns entschieden, die 39-Stunden-Woche als eines von wenigen Unternehmen in der Schweiz einzuführen. Unsere Mitarbeiter:innen können so von mehr Erholungszeit und Freizeit profitieren. Gleichzeitig sind die Belastungen für die Mitarbeiter:innen durch kürzere Arbeitstage geringer. Diese und weitere Vorteile haben uns zu dieser Entscheidung bewogen.

Gleichzeitig wurden die Rahmenbedingungen auch flexibilisiert. Bei der Planung der Einsätze werden die Wünsche der Mitarbeiter:innen wo immer möglich berücksichtigt. Zudem bieten wir Teilzeitstellen an, die Möglichkeit von Sabbaticals oder die Mitarbeiter:innen können entscheiden wie sie ihren 13. Monatslohn ausbezahlt haben möchten.

Zusätzlich bieten wir unseren Mitarbeiter:innen im Back-Office sowohl sehr flexible Arbeitszeiten wie auch die Möglichkeit von hybridem Arbeiten. Jedes Team kann individuell so arbeiten, wie es für das Team am effektivsten ist.

Für mich sind stets beide Säulen wichtig. Sowohl die individuelle Führung wie auch die Rahmenbedingungen sollen so gestaltet werden, damit die Voraussetzungen für eine nachhaltige Zusammenarbeit kreiert werden.